Rhein-Neckar-Zeitung, 8. August 2015

Andrew Llloyd Webbers Erfolgsmusical "Jesus Christ Superstar" feiert bei Zwingenberger Schlossfestspielen Premiere

Diese Party ist nicht zu stoppen

Von Simon Scherer

Auf die Frage von Judas, ob Jesus nun Verführer, Blender, Aufrührer, Mensch oder Superstar ist, geben die Schlossfestspiele in Zwingenberg schnell eine Antwort: Er ist ein starker Held mir sensibler Softie-Seite, komplett in Weiß gekleidet und über muskelbetontem Unterhemd eine Engelsflügeln ähnelnde Weste tragend (Kostüme Friederike von Dewitz). Ihm stand Judas (Mischa Mang) nicht nur optisch kontrastiv gegenüber: Mit zerrissenen Jeans, Lederweste und tätowierten Oberarmen gibt er den hartgesottenen Draufgänger, einen Mann der Tat, der letztlich als einziger erkennt, wie Jesus immer mehr seine humanitäre Mission zugunsten eines fanatischen Personenkults hinter sich lässt.

Ganz dem Titel von Andrew Llloyd Webbers Musical "Jesus Christ Superstar" (Regie: Nicole Claudia Weber) entsprechend, genießt Jesus das Bad in der Menge, lässt sich bejubeln, ist selber wie verblendet. Nicht er ist hier der Aufrührer, sondern Judas, der unermüdlich rebelliert, der Menge klar zu machen versucht, was hier vor sich geht. Wie taub die Menge demgegenüber ist, kommt im 1. Akt zum Vorschein, die Gründe hierfür können nur erahnt werden.

Das Volk befindet sich nämlich auf einer Dauerparty, eine eigene Meinung hat hier keiner, alle handeln und bewegen sich im Kollektiv, antworten im Plenum, wenn sie als Echo Gesagtes wiederholen. Sie wollen nur wissen, wie es weitergeht, Reflexionen sind ihnen fremd. Wodurch sie verführt wurden, weiß man nicht, die Bühne hat hier jedenfalls nichts zu bieten, da man sich für die Kulisse allein auf die Schlossmauern verlässt.

Intensive Einblicke in ihr Innenleben gibt allein Maria Magdalena, für die man mit Jana Marie Gropp eine grandiose Neuentdeckung gefunden hat. Mit hell leuchtender Wärme in der Stimmfarbe und großen mitfühlenden Emotionen in der Textausdeutung stellt sie sogar den nicht nur in Deutschland gefeierten Hauptdarsteller Patrick Stanke (Jesus) in den Schatten, der allzu oft schreit und seine Stimme dadurch etwas brüchig werden lässt – auf Kosten der Textverständlichkeit. Seine überspannte Theatralik beweist hingegen eindrücklich, wie überfordert er selbst mit seiner neuen Rolle als Superstar ist. Etwas überstrapaziert werden die Liebesszenen, da Maria eigentlich vorwiegend mit sich selbst darüber im Konflikt ist, wie sie Jesus nur lieben soll (künstlerisch übrigens eine Glanz-Arie der Gropp).

Äußerst gelungen ist die Darstellung des Priesterrats: Fünf schwarz gekleidete Mönche, allesamt signifikante Gestalten, die gesungen, gebrüllt oder gekrächzt gegen Jesus vorgehen wollen. Besonders zu loben ist hier Kaiphas (Werner Pürling) mit herrlich vibrierenden Bass-Tiefen. Auch die nächste Instanz, Pontius Pilatus (Matias Tosi), offeriert einen sehr bedeutungsschweren Bassbariton. Genau wie die Menge im gut einstudierten Chor (Patrick Bach) Jesus eben noch emporgehoben hat, seine Liebschaft mit Maria imitiert, wollen sie ihn nun weghaben. Wie blind sie bei alledem sind, symbolisieren die kurzzeitig über die Augen gestreiften Netzhauben. Aber dann geht die Party auch schon weiter. Beim letzten Abendmahl (bildlich an Leonardo da Vinci orientiert) vergisst man, vor lauter Träumen über die künftige Karriere als Apostel, Jesus völlig und er wird verraten.

Das Volk reagiert treffend, aber absolut empathielos, amüsiert sich regelrecht über das Verhör Jesu. Perfekt fügt sich hier das dekadente Luxusgeschöpf Herodes ("SOKO"-Stuttgart-Star und Gründungsmitglied der "Kleinen Tierschau": Michael Gaedt) ein, mit jeder Menge Goldketten und hübschen Tänzerinnen (Showturngruppe Exótica). einzige Sympathieperson bleibt weiterhin Maria.

Während Jesus ausgepeitscht wird, werden nicht nur Kostüme und Beleuchtungseffekte schriller. Auch die stets präsente und schlagfertige Band (Leitung Rainer Roos), die gekonnt alle Stimmungsfelder ansprechend zu untermalen weiß, dreht den Hahn noch weiter auf, um das Event auf den Höhepunkt zuzuspitzen. Zum Schluss gilt die Aufmerksamkeit dann aber doch nicht mehr den Feierwütigen, sondern bei trauernden Streichweisen allein Jesus und Judas. Vielleicht setzt hier dann beim Partyvolk ein erstes Nachdenken ein. Im Publikum wird aber erstmal ordentlich gefeiert.=